Noch letzte Woche haben wir über die Öffnung des Einzelhandels für ausländische Investoren berichtet. Nach einer Woche Protest ist nun wieder alles anders. Die von internationalen Supermarktriesen wie Wal-Mart und Carrefour lang erwartete Öffnung des indischen Einzelhandels steht wieder auf der Kippe.
Wegen heftigen Widerstands im ganzen Land legte die Führung in Neu-Delhi ihre entsprechenden Pläne auf Eis, wie Reuters am Sonntag aus Regierungskreisen erfuhr. Weniger als zwei Wochen nach ihrem Kabinettsbeschluss dazu muss sich die Regierungspartei offenbar erst die Unterstützung wichtiger Koalitionspartner sichern. In den Reihen des Regierungsbündnisses finden sich scharfe Kritiker der Reform, nach der sich ausländische Unternehmen künftig mit bis zu 51 Prozent an indischen Supermärkten beteiligen können.
Dem politisch angeschlagenen Ministerpräsidenten Manmohan Singh droht mit dieser Entwicklung eine weitere Schlappe. Schließlich wäre die Öffnung des milliardenschweren Einzelhandels die erste wesentliche Wirtschaftsreform seit Singhs Amtsantritt im Jahr 2009. Die von Korruptionsskandalen geschwächte Regierung betonte, es handele sich bei der jüngsten Entscheidung nur um einen Aufschub. “Die Regierung rudert nicht zurück, sie gibt das Vorhaben nicht auf”, sagte ein Vertreter aus Neu-Delhi mit Kenntnis der Sachlage: “Das ist nur ein Aufschub.”
Unter der Führung der größten Oppositionspartei waren viele Inder gegen die Reform auf die Barrikaden gegangen – vor allem die im Einzelhandel des sich rasant entwickelnden Schwellenlandes noch immer dominierenden Familienbetriebe. Sie fürchten, von den multinationalen Ketten überrollt zu werden. Befürworter wollen dagegen mit der Öffnung der Branche Engpässe im Warenangebot beseitigen, Arbeitsplätze schaffen und dringend benötigtes Auslandskapital in Asiens drittgrößte Volkswirtschaft holen.
Für Handelsriesen wie den US-Weltmarktführer Wal-Mart, Tesco aus Großbritannien und Carrefour aus Frankreich bedeutet der Aufschub einen Rückschlag. Sie warten bereits seit Jahren auf einen Zugang zu dem rasant wachsenden Einzelhandelsmarkt in Indien, dessen jährliches Volumen auf 350 Milliarden Euro geschätzt wird. Der deutsche Handelsriese Metro ist in Indien bereits seit 2003 am Start und betreibt dort Cash&Carry-Großmärkte – die ihre Waren aber nur an Unternehmer und nicht direkt an die Verbraucher verkaufen
. Damit ist Metro nicht von den Plänen der Regierung betroffen. Die Ketten Real und Media-Saturn sollen nicht nach Indien expandieren, sagte ein Metro-Sprecher bei der Entscheidung für eine Öffnung des Marktes Ende November.
Ministerpräsident Singh hatte sich in der vergangenen Woche trotz hohen Drucks der Opposition dagegen gesträubt, die Reformpläne aufzugeben. Im Parlament war es mitunter zu tumultartigen Szenen gekommen, als Oppositionspolitiker ihrem Protest lauthals Nachdruck verliehen und Singh auf Transparenten des Ausverkaufs des heimischen Einzelhandels bezichtigten.
Am Samstag hatte mit Mamata Banerjee eine der schärfsten Kritikerinnen der Reform den Aufschub öffentlich gemacht. Die Politikerin der an der Regierung beteiligten Trinamool-Kongresspartei aus dem Bundesstaat West Bengalen sagte, die Koalition werde das Vorhaben nicht vorantreiben – bis ein Konsens unter den politischen Partnern erzielt worden sei. Das habe ihr die Regierung zugesichert. In einem vor ihren Äußerungen aufgezeichneten und am Sonntag ausgestrahlten Fernseh-Interview sagte Handelsminister Anand Sharma, die Reform sei gut durchdacht und aus Überzeugung geboren: “Wir werden mit unseren Verbündeten sprechen.”
(Reuters)
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