Obwohl die Wirtschaft in Indien brummt, Konzerne fette Gewinne schreiben, Start-ups wie die Pilze aus dem Boden schießen, das Selbstvertrauen der indischen Entrepreneure grenzenlos ist und die Menschen konsumieren was das Zeug hält, kam Indien in den letzten Monaten schwer unter Druck der Märkte. Seit Jahresbeginn verlor der Leitindex der Bombay Stock Exchange Sensex 25 Prozent von seinem Wert und seit August war der Wert der Rupie gegenüber dem Dollar um fast 20 Prozent eingebrochen. Das klingt schon ziemlich apokalyptisch für die aufstrebende Wirtschafts-Supermacht. Indien wurde in den vergangenen Monaten von den Investoren so hart abgestraft wie kaum ein anderes Schwellenland. Das verwundert – denn eigentlich galt das Land als relativ immun gegenüber einem konjunkturellen Abschwung der Weltwirtschaft. Denn die Industrie ist wenig Export-orientiert (dafür der Binnenkonsum stark) und die Finanzmärkte sind vergleichsweise sehr konservativ und wenig international vernetzt. Trotz aller Probleme wie Korruption, Inflation und schlechter Infrastruktur bietet Indien längerfristig einzigartige wirtschaftliche Potentiale und sollte daher als sicher Hafen für Investition gelten. Denn in den kommenden zehn Jahren ist in den USA oder Europa nicht viel Wachstum zu erwarten, Japan stagniert ohnehin seit zwanzig Jahren und Chinas totalitäre Wirtschafts-Diktatur hat auch ihre Limits. Aber Finanzmärkte zeichnen sich heute selten durch ihre langfristige Perspektive aus. Gerade in so volatilen Zeiten wie diesen, bringt der Trader lieber seinen Tagesgewinn von ein paar Basispunkten in Sicherheit, als auf nachhaltige Gewinne in den kommenden drei Jahren zu setzen. Damit nützt er/sie jede noch so kleine Kurs-Bewegung aus und monetarisiert sie zu seinem/ihren Vorteil ohne auf die Fundamentaldaten zu schauen. Damit sind Realwirtschaft und Finanzwirtschaft absolut entkoppelt und jegliche Rückschlüsse vom einem auf den anderen hinfällig.
Achterbahn der Gefühle
Während die Händler Milliardenbeträge um den Globus schicken dokumentieren die Medien jede noch so kleine Herz-Rhythmus-Störung der Märkte anstatt die Gesamtsituation objektiv zu analysieren. Damit bekommen die Leser der (deutschen) Medien niemals ein objektives und realistisches Bild des wirtschaftlichen Klimas in Indien, sondern maximal die letzten Wetter-Meldungen.
Noch letzte Woche titelten die deutschen Medien:
- Wer rettet die Rupie? Indien in der Krise: Die Industrieproduktion sinkt, Ausländer ziehen ihr Geld ab und die Regierung ist gelähmt. (FAZ)
- Indien im Abschwung (Finanznachrichten.de)
- Indien: Industrieproduktion überraschend stark geschrumpft (EMFIS)
- Indische Rupie wird das erste Opfer der Eurokrise sein. … Indien steht nach Einschätzung von Ökonomen vor der schlimmsten Finanzkrise seit Jahrzehnten. (Deutsche Mittelstands Nachrichten)
In einer Woche hat sich das Bild Indiens um 180 Grad gedreht. Gestern titelten die Zeitungen:
- Indiens Börsen vor der Wende (Die ZEIT)
- Investoren kehren an Indiens Börsen zurück (Welt Online)
- Weltwirtschaft: China und Indien hängen USA ab – Schwellenländer auf dem Vormarsch (Pressetext.com)
- Indien im Höhenrausch (Stock World)
Was ist passiert? Wie kam es zur Reinkarnation Indiens binnen Tagen?
Zum einen hat die Ratingagentur Moody’s ihre Bonitätseinschätzung für die langfristige Kreditwürdigkeit in Inlandswährung um eine Stufe auf “Baa3” (Ausblick: stabil) heraufgesetzt. Außerdem fiel die Preissteigerung bei Lebensmitteln auf den niedrigsten Wert seit Februar 2008. Darauf hin sprang der Sensex Index am Mittwoch rund 3,5 Prozent in die Höhe.
Ein/zwei positive Meldungen reichen heute anscheinend schon aus um die Medien wieder jubeln und die Börsen wieder feiern zu lassen. Eine Schwalbe macht noch lange keinen Sommer
. Und ein frischer Morgen ist noch lange keine Eiszeit. Wirtschafts-“Journalisten“ sind leider zu Wetterfröschen verkommen und quaken bei Sonnenschein wie bei Regen.
(Kommentar von Wolfgang Bergthaler)
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