Das indische Gesellschaftssystem ist seit jeher hierarchisch aufgebaut. Jahrhunderte prägte das Kastenwesen die Gesellschaft. Die Kaste bestimmt den soziale Status einer Person. Obwohl 1947 offiziell abgeschafft, spielt dieses System auch heute immer noch eine nicht zu vernachlässigende Rolle, verliert aber besonders im urbanen Raum an Bedeutung. Anstelle von Kasten treten heute Klassen, die die Gesellschaft nach ihrem Einkommens und Besitz, und damit Status, kategorisiert. Im Gegensatz zu Europa sind die Klassenunterschiede und das Wohlstandgefälle in Indien enorm.
Es lassen sich ganz grob vier Schichten identifizieren, wobei die Abgrenzung alles andere als eindeutig ist: „Oberschicht“, „Mittelschicht“, Personen über der Armutsgrenze, Personen unter der Armutsgrenze
Die Oberschicht repräsentiert maximal 1% der indischen Gesellschaft. Darunter nicht nur die 150.000 Dollar-Millionäre, sondern auch die intellektuelle und wirtschaftliche Elite, Wirtschaftstreibende, Großgrundbesitzer und Industrieellenfamilien. In Indien sagt man gerne „creamy layer“ oder „upper crust“. Diese Oberschicht gab es schon immer. Unter englischer Krone haben sie gemeinsam mit den Briten Wirtschaft, Handel, Land, Politik und Verwaltung kontrolliert. Ihr luxuriöser und ausschweifender Lebensstil erinnert heute noch an jenen der Maharajas.
Wachstum und Fortschritt wird vor allem von der so aufstrebenden „middle class“ getragen. Diese klar abzugrenzen ist quasi unmöglich. Nach oben wird sie durch die Oberschicht mit mehreren Tausend Euro Monatseinkommen begrenzt. Das untere Limit der Mittelklasse liegt aber je nach Region etwa bei 100 bis 300 Euro Familieneinkommen – trotz höherer Kaufkraft nicht gerade das, was man in Europa unter wohlhabend versteht.
Die Wirtschaft spricht heute von 100 bis 300 Millionen Mittelklasse-Konsumenten. Daraus folgt, dass die Mittelklasse etwa dem obersten Zehntel bis Fünftel der Bevölkerung entspricht, aber nicht der Mitte, wie die Bezeichnung vermuten lässt.
Diese Schicht gibt es allerdings in dieser Form noch nicht lange. Sie entwickelte sich erst in den letzten 10 bis 20 Jahren und repräsentiert das moderne und urbane Indien, trägt den Boom und das unglaublichen Wachstum der Wirtschaft. Oft arbeiten beide Ehepartner bei internationalen oder heimischen Firmen in der Software- & IT-Branche oder sind selbstständig.
Sie sind jung, gut ausgebildet und konsum-orientiert. Sie geben ihr Geld für Wohnen, Auto, Reisen, Lifestyle-Produkte, Statussymbole (Mobiltelefone etc) sowie Unterhaltung (Kino…) aus. Die Mittelschicht spart aber auch überdurchschnittlich viel (die Sparquote liegt bei über 20%) und investiert in die eigene Zukunftsvorsorge beziehungsweise in die Ausbildung der Kinder. Sie sind primärer Zielgruppe für Konsumgüter indischer und internationaler Firmen.
In Indien leben zwischen 600 und 800 Millionen Menschen, die mit weniger als 2 bis 3 Dollar am Tag leben müssen. Sie bilden die beiden unten Schichten der Gesellschaft.
Die dritte Schicht ist jene „über der Armutsgrenze“ und besteht aus einfachen Arbeitern, Hilfskräften, kleinen Händlern, Handwerkern, Kleinbauern und Mikrounternehmer. Sie verfügen über geringe Bildung. Als Konsumenten kaufen sie Güter des täglichen Gebrauchs.
Am unteren Ende der Pyramide findet man die Personen unter der Armutsgrenze, das sind etwa 300 bis 400 Millionen Menschen, meist Analphabeten oder mit geringer Bildung. In den Städten leben sie in den Slums, oder unter ärmlichen Verhältnissen am Land. Unterkunft, Essen, Wasser, Kleidung sind nicht immer sichergestellt.
Trotz der minimalen finanziellen Mittel wurden auch diese Personen als neue Kunden entdeckt. Mikrofinanz-Institute und innovative indische Social Enterprises leisten am unten Ende der Pyramide einen Beitrag zur Armutsbekämpfung und wirtschaftlichen Entwicklung.
Zusammengefasst sind die Einkommens ist extrem ungleichmäßig verteilt. Die obersten 10% der Bevölkerung beanspruchen etwa ein Drittel des Volkseinkommens für sich
. Das zweite Drittel entfällt auf die nächsten 30%, das dritte Drittel auf die übrigen 60% der Bewohner Indiens. Überraschend und einzigartig ist trotzdem der relativ hohe soziale Zusammenhalt der Gesellschaft. Kriminalität und Aufstände sind relativ gesehen minimal.
(Wolfgang Bergthaler)
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