Wenn am 4. Juni das Ergebnis der indischen Parlamentswahl veröffentlicht wird, wird wohl niemand überrascht sein, wenn sich die regierende BJP zum dritten Mal in Folge die Mehrheit gesichert hat und Narendra Modi als Premierminister bestätigt wird. Die einzig offene Frage ist aus heutiger Sicht nur, wie überlegen die Zustimmung tatsächlich ausfällt.
Egal, wie man zu diesem Mann steht, aus Sicht der indischen Bevölkerung ist er wohl der charismatischste und erfolgreichste Politiker seit Jahrzehnten – wenn nicht sogar seit der Staatsgründung im Jahre 1947.
Warum er – aus Sicht des indischen Elektorats – der richtige Mann für dieses Amt ist, versuche ich hier zu erklären:
Die ewige Sehnsucht nach dem starken „Mann“
In der indischen Gesellschaft, die (immer noch) stark hierarchisch geprägt ist, gibt es eine Faszination und Sehnsucht nach starken Führungs- und Heldenfiguren. Wer die altindischen Nationalepen (Mahabharata, Ramayana) oder modernen Bollywood-Filme kennt, weiß, wovon ich spreche.
Schon in der Unabhängigkeitsbewegung vor knapp hundert Jahren begeisterten und mobilisierten charismatische Freiheitskämpfer wie Mahatma Gandhi, Jawaharlal Nehru, Subhas Chandra Bose oder Sardar Vallabhbhai Patel viele Millionen Menschen für ihre großen Visionen. In den 60er und 70er Jahren war es Indira Gandhi, die trotz aller Kontroversen und vielleicht sogar wegen ihres autoritären und entschlossenen Führungsstils der politische Rockstar ihrer Zeit war. Sie fällte ihre Entscheidungen oft autokratisch und ohne Rücksprache mit ihren Parteikollegen. Auch wenn sich Modi nie mit Indira Gandhi vergleichen lassen würde, gibt es hier durchaus Parallelen im Politikverständnis der beiden Premierminister.
Modi hat sich eine (mindestens) vergleichbare Bewunderung und Unterstützung quer durch viele soziale Milieus gesichert. Durch die entschlossene und manchmal heroische Darstellung seiner politischen Maßnahmen wird er oft als Held gesehen, der das Land gegen interne und externe Bedrohungen schützt und für eine bessere Zukunft kämpft. Diese Heldenverehrung ist tief in der indischen Kultur verankert und stärkt seine Position als Premierminister.
Modis Führungsstil ist durch ein starkes Durchsetzungsvermögen gekennzeichnet, schwierige Entscheidungen zu treffen und sie konsequent umzusetzen. Diese Entschlossenheit wird von vielen Indern als Zeichen einer starken Führung angesehen.
Storytelling
Modi ist ein charismatischer Redner und Storyteller, der die Fähigkeit besitzt, politische Themen mit (kultureller) Bedeutung aufzuladen und Bilder in den Menschen zu erzeugen. Sein Kommunikationsstil schafft, durch die wahrgenommene Authentizität und persönliche Integrität, eine persönliche Verbindung zu den Bürgern. Obwohl er selbst der „Hero“ in dieser Erzählung ist, hat es Modi geschafft, sich als einfacher Mann des Volkes zu präsentieren („vom Teeverkäufer zum Volkstribun“), was viele Menschen anspricht. Diese zelebrierte Bodenständigkeit wird in der indischen Gesellschaft sehr geschätzt.
Betonung auf traditionelle Werte und Kultur
Modi nutzt oft symbolische Handlungen und Referenzen, die tief in der indischen Tradition verwurzelt sind. Er beteiligt sich an kulturellen, religiösen und hinduistischen Zeremonien und fördert indische Traditionen und Bräuche. Dieser Fokus auf kulturelle Identität und Werte spricht viele Inder an, die stolz auf ihr reiches kulturelles Erbe sind. Modi versteht es, seine politische Agenda mit traditionellen Werten zu verknüpfen, was ihm eine breite Unterstützung im Volk einbringt.
Brücke zwischen Tradition und Moderne
Zu guter Letzt schlägt Modi aber auch die Brücke von den alten Werten zur Moderne. Was vor 25 Jahren die CSU mit „Laptop und Lederhose“ meinte, formuliert Modi heute in schmissigen Slogans wie „Digital India“, „Ek Bharat, Shrestha Bharat“, „Swachh Bharat Abhiyan“ oder „Aatmanirbhar Bharat“.
Er liebt es, einfache und prägnante Losungen auszugeben und beherrscht die Klaviatur der (sozialen) Medienarbeit. Als personifizierte „Social Media Marketing“-Agentur bringt er seine Botschaften direkt zur jungen, indischen Bevölkerung – allesamt „digital natives“.
Fazit
Narendra Modi hat sich als Premierminister Indiens einen festen Platz in den Herzen vieler Bürger erobert. Sein Führungsstil spricht tief verwurzelte kulturelle und gesellschaftliche Sehnsüchte nach starken Führungsfiguren an. Durch seine geschickte Nutzung von Storytelling und sein Talent, traditionelle Werte mit modernen Visionen zu verbinden, hat er es geschafft, breite Unterstützung quer durch viele sozialen Schichten zu gewinnen. Trotz aller Kontroversen und Herausforderungen, denen er gegenübersteht, bleibt Narendra Modi für viele Inder der richtige Mann, um das Land in eine vielversprechende Zukunft zu führen.
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