Ein Blick auf das Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz
Gastartikel von Rechtsanwältin Dr. Franziska Lietz, Ritter Gent Collegen, Hannover
Viele Unternehmen ziehen IT-Outsourcing in Betracht, um IT-Kosten zu senken und Fachkräfte zu gewinnen, die in Europa nicht zur Verfügung stehen. Hierbei gibt es jedoch auch einige neue regulatorische Herausforderungen zu beachten.
Ein wichtiges Themenfeld ist das sog. Lieferkettenrecht. Das deutsche Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz (kurz: LkSG), das im Jahr 2023 in Kraft getreten ist, stellt sicher, dass Unternehmen auch in ihren globalen Lieferketten bestimmte menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten einhalten.
Auf EU-Ebene entwickelt sich aktuell eine noch ganzheitlichere Lieferketten-Regulatorik, die in Kürze in Kraft treten wird: Das EU-Lieferkettenrecht, welchem das EU-Parlament im April 2024 zugestimmt hat, soll künftig Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mehr als 450 Millionen Euro gelten. Darüber hinaus gibt es weiteres spezialisiertes EU-Lieferkettenrecht, wie bspw. die Deforestation Regulation (kurz EUDR), die lokale Compliance in bestimmten Branchen, z.B. Papierindustrie, vorschreibt.
Nachfolgend geben wir einen Überblick darüber, welche Anforderungen Unternehmen bereits jetzt nach dem LkSG einhalten müssen.
Lieferkettengesetz: Was Unternehmen beachten müssen
Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, seit 1.1. 2024 sogar ab 1.000 Mitarbeitenden, ihre gesamte Lieferkette auf Menschenrechts- und Umweltverstöße zu überprüfen und entsprechende Maßnahmen zur Risikominimierung zu ergreifen. Wesentliche Pflichten des Gesetzes sind:
- Risikomanagement: Unternehmen müssen Risiken in ihrer Lieferkette identifizieren und bewerten. Hierzu zählen Verletzungen von Menschenrechten, wie Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Diskriminierung und unfaire Entlohnung, sowie Umweltverstöße, wie Verschmutzung und illegale Abholzung.
- Abhilfemaßnahmen: Wenn Risiken entdeckt werden, müssen Unternehmen angemessene Maßnahmen ergreifen, um diese zu beheben.
- Berichterstattung: Unternehmen sind verpflichtet, über ihre Maßnahmen jährlich zu berichten und offenzulegen, wie sie Menschenrechte und Umweltstandards in ihrer Lieferkette sicherstellen.
Das LkSG soll also dazu beitragen, dass deutsche Unternehmen Verantwortung für die gesamte Wertschöpfungskette übernehmen – von den Rohstoffen bis zur Endproduktion.
Dabei nimmt das Gesetz keine Branchen aus. Das bedeutet, nicht nur große Industrieunternehmen oder Handelsketten sind betroffen, sondern z.B. auch IT-Unternehmen oder Startups, sofern diese die Mitarbeiterschwelle von 1000 Personen überschritten haben. Und Achtung: Nach § 1 Abs. 3 LkSG sind Unternehmensverbünde in der Regel hinsichtlich der Mitarbeiterzahl aller im Inland Beschäftigten zusammenzurechnen.
Das LkSG hat zudem nicht nur Bedeutung für unmittelbar unter den Anwendungsbereich fallende Unternehmen. Viele kleinere Unternehmen sind vom LkSG jedenfalls mittelbar betroffen, wenn ihre Auftraggeber, z.B. große Konzerne aus dem Handel oder der Automobilindustrie, dem Gesetz unterfallen und der Auftragnehmer und dessen Dienstleister damit Teil der von diesen zu überprüfenden Lieferkette sind. Dies spüren die mittelbar betroffenen häufig bereits jetzt, wenn Ihnen lange Vertragswerke oder Verhaltensrichtlinien zur Unterschrift vorgelegt werden, mit denen die unmittelbar Verpflichteten versuchen, ihre eigene Verantwortlichkeit auf den Dienstleister zu übertragen.
Für die allermeisten Unternehmen in Deutschland ist daher das LkSG in irgendeiner Form relevant!
Risiken beim IT-Outsourcing mit Blick auf das Lieferkettengesetz
Obwohl IT-Outsourcing viele Vorteile bietet, birgt es auch Risiken, insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards. Oft werden IT-Dienstleistungen in Ländern außerhalb Europas erbracht (sog. Drittländern), bspw. Asien (Philippinen, Vietnam, Indien), Afrika oder Südamerika, in denen Arbeitsschutz- und Umweltvorschriften weniger streng sind als in Europa oder in denen schlicht die behördliche Überwachung der Einhaltung arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften unzureichend ist.
Häufig auftretenden Problemstellungen für Unternehmen, die das LkSG beachten müssen können dabei die Folgenden sein:
- Arbeitsrechtliche Verstöße: In vielen Outsourcing-Hotspots, insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern, gibt es vielfach keine klaren Regelungen zum Arbeitsschutz oder diese werden schlicht nicht befolgt oder sanktioniert. Beispielsweise werden Arbeitszeiten nicht korrekt erfasst, Überstunden nicht bezahlt oder dürfen nicht nach fairen Maßstäben abgebaut werden. Auch die Einhaltung von generellen Obergrenzen bei der Arbeitszeit kann ein Problem sein, sodass Beschäftigte deutlich über die lokale tägliche Höchstarbeitszeit (in Indien wären dies bspw. i.d.R. 10 Std.) ohne angemessenen Ausgleich tätig sind. Hier spielt auch die Zeitverschiebung hinein: Viele Outsourcing-Anbieter verlangen ihren Mitarbeitenden ab, zu den Arbeitszeiten ihrer Kunden auf der ganzen Welt zu Verfügung zu stehen, sodass Nacht- oder Wochenendarbeit keine Seltenheit sind.
- Unfaire Bezahlung und Lohndumping: (IT-)Outsourcing ist oftmals aufgrund der Gehaltsunterschiede in den Zielländern und den dort oft deutlich geringeren Sozialabgaben, Steuern und Nebenkosten (z.B. günstigere Büromiete, Krankenversicherung) eine sehr kostengünstige Alternative zur Beschäftigung von Mitarbeitern in Deutschland. Teilweise werden hierbei jedoch auch Grenzen eines fairen Lohnniveaus für angemessene Lebensgestaltung im Zielland deutlich unterschritten, indem Mitarbeiter mit Gehältern bis unter den lokalen Mindestlohn beschäftigt werden. Diese Verletzungen von Arbeitsschutzrechten könne auch in einem den Kunden vielfach nicht ersichtlichen Graubereich stattfinden: dem Unter-Outsourcing. Denn selbst wenn der eigentliche Vertragspartner gegenüber dem Kunden bspw. Stundensätze angibt, die auf ein angemessenes Lohnniveau schließen lassen, werden die Aufträge nicht selten intern an noch kleinere Unternehmen weitergereicht, die deutlich schlechtere Bedingungen anbieten. Dass dies neben sozialen Aspekten auch Risiken für die Qualität der Dienstleistung mit sich bringt, versteht sich von selbst.
- Diskriminierung: Diskriminierung, z.B. aufgrund von Geschlecht oder ethnischer Zugehörigkeit sind weitere Risiken, die Unternehmen – abhängig vom jeweiligen Zielland – berücksichtigen müssen.
- Umweltrisiken: Auch im Bereich der IT-Dienstleistungen können ökologische Standards missachtet werden, sei es durch übermäßigen Energieverbrauch in Rechenzentren oder die unsachgemäße Entsorgung von Elektronikschrott oder sonstigen Abfällen, wie dies in Entwicklungs- und Schwellenländern häufig noch üblich ist. Zugegebenermaßen sind aber im Lieferkettengesetz nur ganz spezifische Umweltrisiken genannt, deren Verletzung im Kontext des IT-Outsourcing eher unwahrscheinlich (wenngleich nicht völlig ausgeschlossen) ist, z.B. Verstöße im Zusammenhang mit Herstellung, Verwendung Entsorgung von Quecksilber oder Persistant organic Pollutants oder unzulässige Abfallverbringung über Ländergrenzen. Im künftigen EU-Lieferkettenrecht wird jedoch das Thema Umwelt und Klima eine deutlich weitreichendere Bedeutung einnehmen, sodass hier künftig sämtliche Umweltverstöße zu betrachten sein werden.
- Intransparenz: Für Unternehmen, die IT-Outsourcing in Anspruch nehmen, ist es mit Blick auf das Lieferkettengesetz also entscheidend, Partner auszuwählen, die sich an internationale Standards und Gesetze halten. Aber wie kann man das überprüfen, wenn der Dienstleister tausende Kilometer entfernt angesiedelt ist und bspw. ein Audit, eine Besichtigung seiner Arbeitsstätten oder Gespräche mit den Beschäftigten ablehnt? Eine informierte Bewertung von Risken im Kontext des Lieferkettengesetzes kann letztlich nur durch die Zusammenarbeit mit ausreichend transparenten Partnern umgesetzt werden. Intransparenz an sich stellt damit ebenfalls ein Risiko für deutsche Unternehmen dar, da dies die gesetzlich geforderte Nachweisführung erschweren kann.
Lieferkettengesetzkonformes Outsourcing
Unternehmen, die trotz unmittelbarer oder mittelbarer (z.B. vertraglich auferlegter) Verpflichtungen nach dem LkSG Dienstleistungen in Drittländer outsourcen möchten, sollten daher insbesondere bestimmte Anforderungen an Ihre Partner stellen.
Aus unserer Erfahrung sollten vor allem die folgenden Punkte beachtet werden:
- Arbeitszeiten und Zeiterfassung: Die Mitarbeitenden arbeiten nach geregelten Arbeitszeiten, die genau erfasst werden und das lokal erlaubte tägliche Maximum nicht übersteigen. Überstunden, Wochenendarbeit und Reisezeiten werden entsprechend der lokalen Gesetzgebung entweder bezahlt oder durch Freizeit ausgeglichen. Verstöße in diesem Bereich können dem Gesundheitsschutz widersprechen und damit einen LkSG-Verstoß auslösen. Das Selbe gilt für die Nichtbeachtung lokaler Vorschriften hinsichtlich Mutterschutz und Elternzeit.
- Gesunde Arbeitsumgebung: Im Idealfall bietet der Outsourcing-Dienstleister seinen Mitarbeitenden moderne und ergonomische Arbeitsplätze sowie (in warmen Regionen) klimatisierte Büros an. Zudem sollte auch ein freundliches Arbeitsklima ohne Mobbing und mit Maßnahmen gegen Harassment und Diskriminierung geboten werden. Meist gibt es für diese Aspekte keine eindeutigen gesetzlichen Vorgaben. Sollten hier allerdings Schwierigkeiten auftreten, kann dies genauso wie übermäßige Überstunden zu einer Gesundheitsbelastung der Mitarbeitenden und damit zu einem Handlungsbedarf im Rahmen des LkSG führen.
- Krankenversicherung: Nicht in allen Drittländern ist eine Krankenversicherung Pflicht. Wenn der Dienstleister seinen Mitarbeitenden eine Krankenversicherung zur Verfügung stellt, kann diese jedoch als aktive Maßnahme zum Gesundheitsschutz benannt werden, um zu belegen, dass den Mitarbeitenden eines hohes Schutzniveau geboten wird. Das Selbe gilt für alle weiteren freiwilligen Maßnahmen, z.B. Fahrservice, Sicherheitstechnik für eine geschützte Arbeitsumgebung etc.
- Transparenz und Auditierung: Das LkSG verlangt unter Umständen, dass Dienstleister, bei denen Hinweise auf ein Risiko bestehen, im Einzelfall geprüft und auch auditiert werden müssen. Kunden aus Deutschland sollten sich daher möglichst diese Option bereits im Rahmenvertag mit dem Dienstleister absichern, um ggf. davon während der Laufzeit der Zusammenarbeit Gebrauch machen zu können. Dienstleistern, die die Möglichkeit der Auditierung vor Ort von vorneherein ablehnen, sollte grundsätzlich mit Vorsicht begegnet werden.
Damit lässt sich zusammenfassend sagen, dass Kunden von (IT-) Outsourcing-Dienstleistern außerhalb der EU seit Inkrafttreten des LkSG auch selbst Verantwortung für die Rechtskonformität der Aktivitäten ihrer Dienstleister im Zielland übernehmen müssen. Es ist zudem davon auszugehen, dass sich diese Anforderungen weiter verschärfen werden. Unternehmen sollten daher die kritischen Punkte bei der Auswahl ihrer Dienstleister sowie bei der Vertragsgestaltung stets im Blick behalten.
Weitere Infos unter https://ritter-gent.de/
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