Instia statt India.
- 6. März 2025
- Veröffentlicht durch: Wolfgang Bergthaler
- Kategorien: Allgemeines, Interkulturelles, Unternehmensberatung

Bitcoin-Maximalisten und Anhänger der Österreichischen Schule der Nationalökonomie kennen das Konzept der Zeitpräverenz. Eine niedrige Zeitpräferenz bedeutet, dass eine Person oder Gesellschaft dazu neigt, zukünftige Vorteile höher zu bewerten als sofortige Belohnungen. Saifedean erklärt das Konzept in seinem Buch der Bitcoin Standard so: „Die Fähigkeit zu sparen und zu investieren, statt sofort zu konsumieren, ist die Grundlage für Zivilisation und wirtschaftlichen Fortschritt.“
In meinem österreichischen Umfeld gibt es einige Bitcoiner, die heute bewusst frugal leben und einen großen Teil ihrer Ersparnisse in Bitcoin investieren, um langfristig von dessen Vorteilen zu profitieren. Deflationäres Geld dämpft den Konsum und ist für mich der Inbegriff von Nachhaltigkeit.
Wenn ich allerdings mit Indien arbeite, erlebe ich meist eine deutlich höhere Zeitpräferenz. Der Fokus liegt oft auf einem schnellen Return on Investment (ROI). Inder neigen dazu, unmittelbare Anreize, rasche Gewinne und kurzfristige Erfolge zu bevorzugen.
Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.
Die Ursachen liegen tief in der Geschichte, Religion und Gesellschaft begründet. Indien war über Jahrhunderte hinweg ein Land mit hoher wirtschaftlicher Unsicherheit und weicher Währung (daher flüchten Inder traditionell in Gold).
Im hinduistisch geprägten Indien und der indischen Spiritualität liegt der Fokus stark auf dem „Hier und Jetzt“, da die Erlösung nicht erst in einer fernen Zukunft (nach dem Tod), sondern im gegenwärtigen Moment stattfinden kann. Viele religiöse Praktiken, Rituale und Gebete zielen darauf ab, sofortige göttliche Gnade oder karmische Vorteile zu erlangen.
So spiegelt sich diese Denkweise in vielen Bereichen des Lebens wider – sei es im Geschäftsleben, in der Arbeitskultur oder im Konsumverhalten. Ein sicherer, kurzfristiger Gewinn wird oft höher geschätzt als eine potenziell größere, aber ungewisse Zukunftsperspektive.
Instant Gratification
Im Geschäftsleben bedeutet dies: Indische Unternehmen handeln oft kurzfristig motiviert, opportunistisch und risikofreudig. Stichwort „Instant Gratification“. So wird India zu Instia.
- Kunden erwarten, dass sich Investitionen in ein Produkt oder eine Dienstleistung sofort lohnen – Rabatte, Deals und Sofortnutzen sind essenziell.
- Viele Kooperationen sind kurzfristiger Natur und eher transaktionsorientiert.
- Auch Arbeitnehmer haben eine höhere Zeitpräferenz: Wer nach einem Jahr keinen Gehaltssprung sieht, wechselt – wenn das Unternehmen sonst nichts zu bieten hat. Ein Job ist oft ein Vehikel zum schnellen Aufstieg.
Als europäische Unternehmer müssen wir das in Indien im Vertrieb, bei der Personalpolitik und in all unseren Verhandlungen mitdenken. Nicht dass wir den indischen Interessen immer nachgeben müssen – ganz im Gegenteil. Wir müssen unseren indischen Freund auch die langfristigen Potenziale aufzeigen und ihnen diese Perspektive geben.
Auch wenn indische Partner uns oft als starr und wenig flexibel wahrnehmen, schätzen und bewundern sie unsere Langfristigkeit, Qualität, Nachhaltigkeit und Beständigkeit. Während in Indien Projekte oft kurzfristig hochgezogen und ebenso schnell wieder aufgegeben werden, genießen deutsche Unternehmen dort hohes Vertrauen.
Indische Agilität UND europäische Nachhaltigkeit sind zwei gleichwertige Erfolgsfaktoren für erfolgreiche Geschäfte in Indien.
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