Aus der Serie: „Entrepreneurship meets Korruption“: Vom Schaffner zum Millionär

Die Indian Railways unterhalten das größte Schienennetz der Welt und beschäftigen weit über eine Million Menschen. Damit befördern sie das Milliardenvolk günstig, sicher, „schnell“ und mehr oder weniger komfortabel von A nach B. Und dieses Volk reist viel – so viel, dass die hervorragende Auslastung dem Staat als Eigentümer gute Gewinne beschert (was man von den ÖBB ja nicht gerade behaupten kann), aber die Kunden oft zur Verzweiflung treibt.

Das darf auch ich immer wieder am eigenen Leib erfahren. Um mein gewünschtes Bahn-Ticket zu ergattern, muss ich schon einige Wochen vorher buchen, sonst bleibe ich gar in der Stadt sitzen oder darf bestenfalls mein Bett mit jemanden teilen, den ich nicht kenne(n will). So geschehen bei meiner letzten Zugfahrt von Puri (Orissa) nach Kolkata.

Nur gut, dass es da noch die Korruption (darf man ja eigentlich nicht sagen) gibt! So tut sich um ein paar hundert Rupien Trinkgeld für den Schaffner um 1 Uhr morgens dann doch noch irgendwie ein brauchbarer Schlafplatz auf
. Nachdem er mein Ansinnen hundert mal für unmöglich befindet, ergibt er sich nach langem und mutigen Kampf schließlich und beugt sich seinem Schicksal, nimmt das Geld und weist mir den neuen Schlafplatz zu. Ich bin also Täter, der Schaffner natürlich das Opfer.

Die Nachfrage übersteigt quasi immer die bis zu 2.000 Tickets für einen Nachtzug. Da auch bei Bestechung Angebot und Nachfrage den Preis bestimmt, und der Markt durch die Befindlichkeiten des Schaffners nicht gänzlich unreguliert ist, kann es durchaus zu beachtlichen Vermögens-Verschiebungen zu Gunsten des Schaffners kommen. Dieser kann sich all dieser unmoralischen Angebote gar nicht erwehren und versteigert schlussendlich in einer mitternächtlichen Aktion – ohne notarieller Aufsicht – die Tickets jener Passagiere, die zu Hause geblieben sind, lässt Passiere ihre Tickets für eine andere Kategorie upgraden oder findet eine andere kreative Lösung um den Kundenwünschen zu entsprechen.

Nach einer kleinen privaten Umfrage unter Kunden der Indian Railways bin ich auf folgende Rechnung gekommen – konservativ gerechnet:

  • Durchschnittliches Trinkgeld: 250 Rs
  • Dispositionen pro Dienst:  20 Personen
  • Erlöse pro Schaffner pro Dienstfahrt: 5.000 Rs
  • Dienst-Fahrten pro Monat: 25
  • Private Erlöse pro Schaffner pro Monat: 125.000 Rs

Das entspricht etwa € 2.000 brutto für netto, bar auf die Hand. Mit entsprechenden Unternehmergeist, etwas Verhandlungsgeschick und zur Hauptreisesaison kann es auch mal das Doppelte sein. Was der Schaffner als Einzelunternehmer pro Monat netto dazu verdient, entspricht etwa sechs seiner Brutto-Monatslöhne. In Summe also eine attraktive unternehmerische Variante und gleichzeitig ein sicherer Job im Staatsdienst.

Fazit: Nach meiner Wiedergeburt strebe ich den Traumjob als Schaffner bei den Indian Railways an. So kann ich unternehmerisch agieren und gleichzeitig das Sicherheitsbedürfnis meiner Eltern befriedigen.

(Kommentar von Wolfgang Bergthaler aus Kolkata)

Similar Posts:


Beitrag veröffentlicht

von

Wolfgang Bergthaler

Kommentare

Schreibe einen Kommentar