Am letzten Wochenende meiner Indien-Reise wollte ich in Bombay (ich habe noch keinen „Mumbaikar“ getroffen, der seine Stadt Mumbai nennt) mein Marathon-Debüt abliefern. Obwohl ich seit 1997 regelmäßig laufe, vor ein paar Jahren zu den besten Leichtathleten Österreichs (1.500m bis 5.000m) zählte und mich in den letzten Monaten ganz gut vorbereitet habe, hatte ich immer großen Respekt vor dieser Distanz. Da ich vor ein paar Jahren meine professionelle Laufkarriere wegen Indien (!) beenden musste, hatte ich noch eine Rechnung mit dem Land offen und wollte meinen ersten Marathon in Indien bestreiten.
Auf 42,195 km kann viel passieren
. Man kann sich vorbereiten, aber die Belastung nicht wirklich trainieren. Viel hängt von externen Faktoren ab, die man nicht beeinflussen kann. Marathonlauf ist wie in Indien Geschäfte zu machen. Beides ist anstrengend, unberechenbar und bedarf einer gewissen Vorbereitungszeit. Man muss sich 100% darauf einlassen, braucht unglaubliche Ausdauer und eine hohe Stress-Toleranz. Zudem muss man sich bei Business wie beim Marathon auf die lokalen Gegebenheiten einstellen: beim Bombay-Marathon eben Hitze, mangelnde Verpflegung auf der Strecke, wenige Starter, die sich gegenseitig unterstützen. Im Geschäftsleben ist es ähnlich.
Den richtigen Lauf- (sprich Geschäfts-) Partner zu finden, der im passenden Tempo in die richtige Richtung läuft, ist die größte Herausforderung. Man muss ihm vertrauen können. Und er sollte die Hindernisse, Irrwege und Herausforderungen auf der Strecke kennen. Um es gleich vorweg zu nehmen: ich hatte beim Marathon nicht den richtigen lokalen Partner an meiner Seite, der mich bis ins Ziel begleitet hat. Ich gab nach 33 Kilometern das Rennen auf.
In Indien sind die Wege zum Ziel selten direkt und gut ausgeschildert. Das galt auch für den besagten Marathon. Ich absolvierte die Schleife Colaba – Marine Drive – Mahalaxmi – Worli – Bandra – Sealink und kam als Führender des Amateurlaufs (die nationalen und internationalen Eliteläufer starteten eineinhalb Stunden später) bei KM 32 wieder nach Worli, wo ich auf die langsameren Läufer traft, die erst bei KM 18 waren. Für mich waren es noch 10 Kilometer Richtung Süden bis ins Ziel in Colaba. Durch die schlechte Organisation und meine mangelnde Aufmerksamkeit wurde ich, trotz Nachfragen, von den Ordnern wieder Richtung Bandra geschickt. Nach fünf Minuten Laufzeit realisierte ich, dass ich bei KM 18 war und wieder nach Norden lief. Statt diesen Extra-Kilometer wieder zurück zu laufen und 10 Minuten zu verlieren, gab ich entnervt auf. Für 45 Kilometer hätte meine Kraft an diesem Tag nicht gereicht. Mir wurde zu spät bewusst, dass ich einfach die Offiziellen ignorieren und über die Straßenabsperrungen springen hätte müssen, um auf Kurs zu bleiben und das Ziel zu erreichen.
Während ich zu Fuß nach Hause ging, wurden mir ein einige Parallelen zwischen Marathonlauf und „Doing Business in India“ klar:
- Beides ist in Indien härter als in Europa, weil die externen Verhältnisse viel extremer sind: Hitze, Luftverschmutzung, mangelnde Verpflegung beim Marathon beziehungsweise Wettbewerb, Bürokratie, Ressourcen-Zugang und Korruption im Geschäft)
- Der Weg zum Ziel (=Erfolg) ist länger als man denkt, und er ist niemals klar erkenntlich
- Ohne lokalen Partner, der weiß wo man abkürzen muss, ist man oft verloren
- Man muss wissen, wann und wie man die Regeln missachten muss, um ins Ziel zu kommen
- 80% Aufmerksamkeit ist nicht genug; absolute Vorbereitung ist notwendig
- Trotz professionellen Top-Managements, hat man doch immer wieder mit inkompetenten Hilfskräften zu tun, die keine Ahnung haben
- Taktik (schnelles Entscheiden vor Ort) und Improvisations-Talent sind wichtiger als langfristige Strategien – es kommt sowieso anders als man denkt
- Die wenigen guten Mitstreiter/Partner, die man hat, soll man nicht hinter sich lassen – ich habe meine letzten Mitläufer bei KM 25 abgehängt
- Nach drei Viertel der Strecke aufzugeben ist zu wenig. Man sollte immer auf ein paar „extra miles“ vorbereitet sein.
(Kommentar von Wolfgang Bergthaler, aus Bombay/Mumbai)
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