Dass arrangierte Hochzeiten in Indien besser funktionieren als so genannte Love Marriages liegt daran, dass sie hoch-professionell eingefädelt werden. Der Prozess läuft – ähnlich eines Business-Development-Prozesses – klar strukturiert ab.
Zu Beginn wird von den Eltern eine detaillierte Liste an Anforderungen (vgl Requirements Specification) ausgearbeitet. Das allerwichtigste ist dabei immer noch die Kastenzugehörigkeit – denn diese stellt sicher, dass der zukünftige Ehepartner den gleichen sprachlichen, kulturellen und sozialen Background hat. Das reicht bis zu den Essgewohnheiten und Haus-Bräuchen. Neben diesen Mindestanforderungen wird der Kriterien-Katalog um Alter, Größe, Hautfarbe, Ausbildung, Einkommen, Beruf des Vaters etc bis hin zu Sternzeichen erweitert. Nicht unähnlich einem Unternehmen, das nach einem strategischen (Joint Venture) Partner sucht und dessen potentielle Targets nach Größe, Umsatz, Marktanteil und Technologie auswählt.
Am Ende steht in beiden Fällen eine Short-List potentieller Bräute beziehungsweise Firmen. Entweder wird dieser Auswahl-Prozess intern, durch die Familie beziehungsweise Geschäftsführung, durchgeführt oder als Auftrag an eine externe Beratungsfirma für Mergers & Acquisations (aka Ehe-Vermittlungsbüro) vergeben. Zur Unterstützung wird heute auch gerne auf elektronische Datenbanken zurückgegriffen.
Gibt es erstmals eine Vorauswahl potentieller Kandidaten, können die ersten Meetings arrangiert werden um eine weitere Zusammenarbeit, respektive Ehe, zu sondieren. Laufen die ersten Gespräche gut und man ist sich sympathisch, werden Follow-Up Meetings vereinbart. Nach zwei bis drei Runden ist man sich entweder handelseins oder man bricht den Kontakt ab um den nächsten Kontakt einer Due Diligence zu unterziehen – so lange bis man den geeigneten Partner gefunden hat. Dann wird die Hochzeit geplant oder eben die ersten Vertragsentwürfe ausgetauscht.
Die Hochzeit ist dann nur mehr ein Formal-Akt, ähnlich der Unterzeichnung der Gesellschaftsverträge – mit dem Unterschied dass man bei der Hochzeitsfeier mehrere hundert Schaulustige aus Verwandtschaft und Freundeskreis einladen muss. Die interessieren sich jedoch meist weniger für das Zeremonielle sondern sorgen sich vor allem um ihr leibliches Wohl.
Nach rauschendem Fest beginnt am Tag danach die harte (Zusammen-)Arbeit. Die Wahrscheinlichkeit dass indische Ehen länger halten als Joint-Ventures liegt unter anderem auch daran dass beide Brautleute den gleichen sozio-ökonomischen Background haben und das gleiche Wertesystem mitbringen. Daher gibt es in dieser Konstellation auch relativ wenig Konfliktpotential. Einer lang(weilig)en Ehe steht nun nichts mehr im Wege. Und für Romantik ist sowieso wenig Platz, wenn man mit den konservativen Eltern unter einem Dach wohnt.
In Indien heiraten nicht zwei Menschen, sondern immer zwei Familien – wie eben nicht zwei Geschäftsführer den Gesellschaftsvertrag schließen, sondern deren Unternehmen. In Indien ist jede Hochzeit ein Business-Case. Geld spielt eine große Rolle. Der Bräutigam erwartet sich eine seinem Status angemessene Mitgift als Startkapital für seine Familiengründung. Die Familie der Braut stellt wiederum sicher, dass das Ansehen und Einkommen des Mannes auch hoch genug ist. Das finanzielle Sicherheit ist aber nicht nur die Hauptsorge bei arrangieren Ehen, sondern auch bei Liebeshochzeiten. Einer aktuellen Umfrage des Magazins OPEN zufolge ist Vermögen und Einkommen (neben Sex!) auch das Hauptkriterium junger Frauen, die heute selbst nach einem Partner suchen. Joint-Ventures und indische Hochzeiten sind sich also überraschend ähnlich
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(Kommentar von Wolfgang Bergthaler)
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