Was wir von Indien lernen sollten, bevor es zu spät ist

Im Frühjahr erschien das (neue) Indien-Buch von Walter J. Lindner, Botschafter a.D., mit dem Titel „Der alte Westen und der neue Süden“ mit dem Untertitel „Was wir von Indien lernen sollten, bevor es zu spät ist“.

Walter J. Lindner bereiste (damals noch als „Hippie“) das Land bereits in den 70er Jahren. Als er 2019 als deutscher Botschafter wieder nach Indien kam, war das Land ein anderes. Er beschreibt in seinem Buch anhand von ganz vielen persönlichen Anekdoten und Erfahrungen, warum wir heute anders auf Indien schauen müssen als damals. Denn Indien kann für viele der Probleme Europas eine Lösung sein, beginnend vom Fachkräftemangel über die Wachstumsschwäche bis zu geopolitischen Alternativen zu den USA, China und Russland.

Indien gilt heute als Führungsmacht des globalen Südens. „Denn Indien ist alles, was der Westen nicht ist: jung, dynamisch, innovativ. Das bevölkerungsreichste Land der Erde wird als gigantischer Absatzmarkt, Fachkräftereservoir und IT-Hub umworben wie kein anderes.“1 Diese Perspektive ist in unseren Breiten allerdings noch nicht so weit verbreitet und Indien wird oft noch nicht ausreichend ernst genommen. Das Buch ist für alle, die sich für Geopolitik, Außenhandel und Innovation interessieren, absolute Pflichtlektüre.

Was ich in/von Indien lernen durfte

Dass ich (auch) an Indien (und seine Wirtschaft) glaube, dürfte die Leser dieses Blogs nicht wirklich überraschen. Auch wenn ich mich hier auch oft kritisch zu Indien und gewissen „indischen Phänomenen“ äußere, berichte ich doch meistens über die Dinge, die mich in Indien seit zwanzig Jahren faszinieren und inspirieren.

Ich weise in meinen Artikeln immer wieder auf jene Aspekte der indischen (Geschäfts)kultur hin, die ich bei uns vermisse und von denen ich glaube, dass es mehr davon braucht. Daher hier nochmals meine ganz persönlichen Learnings, die auch Europa von Indien lernen muss, bevor es zu spät ist:

  • Entrepreneurship: Neben den USA gibt es wohl kein Land, in welchem Unternehmertum so präsent ist wie in Indien. Indien bietet eine einzigartige Kombination aus boomendem Binnenmarkt, leistungsbereiten gut ausgebildeten Arbeitskräften und ausreichend (Risiko)kapital. Es ist beeindruckend, wie in den letzten 30 Jahren aus dem planwirtschaftlichen, sozialistischen Entwicklungsland eine dynamische Marktwirtschaft entstanden ist. Von diesem Spirit können wir uns in Europa jedenfalls noch einiges abschauen.
  • Leistungsbereitschaft: In Indien findet gerade das statt, was man bei uns in den 50er und 60er-Jahren erlebt hat, nämlich ein „Wirtschaftswunder“. Liberalisierung, hohe Wachstumsraten, ein (Wieder)aufbau der Industrie und Infrastruktur. Die Gesellschaft konsumiert und investiert. Leistung und Arbeit sind positiv besetzte Begriffe. Wie auch wir von der Leistungsbereitschaft indischer Fachkräfte profitieren können.
  • Was uns oft besonders schwer fällt, ist in Indien außerordentlich stark ausgeprägt, nämlich die Fähigkeit, mit Mehrdeutigkeit umzugehen. Wenn wir uns in der VUCA-Welt zurechtfinden wollen, haben wir hier mit Indien einen wahren Guru.
  • Die kulturelle Diversität Indiens spiegelt sich auch in den Konsumgewohnheiten, Präferenzen und Bedürfnissen der Verbraucher wider. Daher sind die indische Agilität und Flexibilität für einen so dynamischen und komplexen Markt wie Indien von Vorteil und führt zu Innovation.
  • Wenn Sie auf diesem Blog nach Innovation suchen, finden Sie aktuell 154 Artikel zu diesem Thema. Indien ist ein Land, in dem viele Innovationen für die Welt entwickelt werden. Es bedarf aber auch kreativer Lösungen, um in Indien Marktanteile zu gewinnen. Wie man für den indischen Markt Produkte entwickelt, habe ich in diesem Leitfaden mal zusammenfasst (Download).
  • Frugalismus: Ein Schlüssel zur Innovationskraft Indiens liegt auch im Konzept von „frugal innovation“. Da wir in Europa m.M. massiv unter „Komplexität“ leiden, halte ich dieses Konzept für essenziell wichtig. Ich versuche es in allen meinen Projekten radikal anzuwenden und so kundenorientierter, schneller und besser Mehrwert zu generieren.

Die Fähigkeit, mit Mehrdeutigkeit umzugehen, Agilität, Flexibilität, Innovationsfreude, Frugalismus, Entrepreneurship und Leistungsbereitschaft sind definitiv Qualitäten, die ich in Indien entdecken und nachschärften durfte. Und ich glaube, dass das genau die Eigenschaften sind, die bei uns in Europa noch ausbaufähig sind. Lasst uns also von Indien lernen!

Quellen:

Bild von Labun Hang Limboo auf Pixabay

  1. https://www.amazon.de/alte-Westen-neue-S%C3%BCden-Jahrhundert/dp/3550202806 ↩︎

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Beitrag veröffentlicht

von

Wolfgang Bergthaler