In den letzten Monaten habe ich mit mehreren österreichischen Unternehmen aus dem IT-Umfeld gesprochen, die sich aktuell überlegen, wie sie sich für die Zukunft aufstellen, um mit Personalkostenexplosion und Fachkräftemangel in Österreich umzugehen. Ich war selbst überrascht, dass sich Unternehmen in größerer Anzahl ernsthaft Gedanken zum Thema Outsourcing nach Indien machen.
Softwareentwicklung-Outsourcing-Welle nach Indien startet (erst) jetzt!
Die Dringlichkeit steigt! Die steigenden Lohnkosten nach der Pandemie, sowie der Mangel an qualifizierten Fachkräften in technischen Berufen machen Outsourcing-Modelle, vor allem nach Indien, attraktiver als je zuvor. Der Fachkräftemangel in den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) ist hier ein ausschlaggebender Faktor: In Deutschland etwa fehlen nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft rund 137.000 IT-Fachkräfte1. In Österreich zeigt sich ein ähnliches Bild, auch wenn Konjunkturbedingt aktuell gerade das Recruiting in der Branche zurückgefahren wurde, und zum Beispiel Drittstaatenrekrutierung aktuell überhaupt kein Thema ist. Für Unternehmen wird es in den kommenden Jahren, Strukturbedingt aber definitiv schwieriger, erfahrene Softwareentwickler und IT-Experten vor Ort zu rekrutieren – und wenn, dann nur zu erheblich gestiegenen Gehältern. Immer weniger Unternehmen können und wollen diese Kostenstruktur, insbesondere verursacht durch die Lohnnebenkosten, so akzeptieren. Daher beschäftigen sich Unternehmen aktuell mehr mit Outsourcing als mit Drittstaatenrekrutierung.
Denn die Personalkosten in Österreich und Deutschland für Softwareentwickler liegen dabei deutlich über den Kosten in Indien. In Österreich kostet ein erfahrener Entwickler dem Arbeitgeber gleich mal 70 bis 100.000 Euro pro Jahr. In Indien hingegen verdienen erfahrene(!) Softwareentwickler in großen Metropolen wie Bengaluru, Hyderabad oder Pune, je nach Erfahrung und Spezialisierung, zwischen 20.000 und 25.000 Euro pro Jahr. Die Lohnnebenkosten sind hier deutlich geringer, auf Arbeitgeberseite vielleicht nochmals 15 bis 20 Prozent on-top. Dies bedeutet für Unternehmen eine signifikante Kostenreduktion – selbst bei Berücksichtigung von zusätzlichen Aufwendungen für Kommunikation, Koordination und Management.
Während der Pandemie haben viele Firmen gelernt, mit Remote-Arbeit und dislozierten Teams umzugehen. Diese Erfahrung, gepaart mit den aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (siehe oben), hat das Outsourcing nach Indien erstmals zu einer realistischen strategischen Überlegung gemacht. Ich rechne damit, dass viele Unternehmen nachziehen, sobald die Konjunktur wieder anzieht und der strukturierte Fachkräftemangel so richtig durchschlägt.
Modelle des IT-Outsourcings und ihre Vor- und Nachteile
Ab welcher Größe sich Outsourcing rechnet, hängt stark vom Modell und den Prozessen im Unternehmen ab. Eine Faustregel besagt jedoch, dass Outsourcing ab einer Teamgröße von zehn Entwicklern wirtschaftlich sinnvoll wird, da ab diesem Punkt die Kostenvorteile die Aufwendungen für Koordination und Qualitätssicherung übersteigen.
Unternehmen stehen vor verschiedenen Möglichkeiten, um ihre Outsourcing-Bestrebungen umzusetzen. Diese Modelle bieten unterschiedliche Vor- und Nachteile, die je nach Unternehmensstrategie und Projektanforderungen abgewogen werden müssen.
1. Dedicated Team Members in Indien
In diesem Modell wird ein Teammitglied in Indien eingestellt, das jedoch fester Bestandteil des Teams im Stammsitz bleibt. Der indische Partner (Dienstleister) kümmert sich dabei um das Recruiting und die Payroll-Services, wodurch betriebsstättenrechtliche Risiken vermieden werden.
Vorteile:
- Flexibilität, ohne dass eine vollständige Niederlassung in Indien nötig ist.
- Effiziente Integration in bestehende Scrum-Teams, was agiles Arbeiten ermöglicht.
- Der Partner in Indien übernimmt administrative Aufgaben wie Recruiting und Lohnabrechnung.
Nachteile:
- Potenzielle Kommunikationsbarrieren und Zeitunterschiede können den Teamzusammenhalt belasten.
- Der Mitarbeiter in Indien könnte sich isoliert fühlen, was die Produktivität beeinträchtigen kann.
- Bedarf einer intensiven Einarbeitung und eines fortlaufenden Austauschs, um die Integration zu sichern.
2. Zusammenarbeit mit großen Beratungs- und Software-Outsourcing-Partnern
Mit Anbietern wie TCS, Tech Mahindra oder Wipro (kleinere Unternehmen sollte man nur nach einer intensiven Due Diligence auswählen) wählen Unternehmen den Weg der Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Outsourcing-Dienstleister, der Onsite-Berater sowie Offshore-Teams bietet. Dieses Modell eignet sich besonders für größere Projekte, bei denen ein reibungsloses Zusammenspiel von Onsite und Offshore erforderlich ist.
Vorteile:
- Die Partnerunternehmen verfügen über langjährige Erfahrung und bieten ausgereifte Prozessabläufe.
- Flexibilität in der Skalierung und Zugriff auf ein breites Spektrum an Technologieexperten.
- Integrierte Methoden und Tools, die oft speziell für die Offshore-Onsite-Kollaboration optimiert sind.
Nachteile:
- Höhere Kosten im Vergleich zu kleineren, unabhängigen Dienstleistern.
- Weniger Einfluss auf die Teamzusammensetzung und die spezifische Auswahl der Experten.
- Die langfristige Abhängigkeit von einem Dienstleister kann die Flexibilität mindern.
3. Eigene Entity in Indien aufbauen (eigentlich Insourcing)
Erste Unternehmen entscheiden sich dafür, eine eigene indische Tochtergesellschaft zu gründen und von Grund auf eigene Strukturen und Teams aufzubauen. Dieses Modell ist geeignet für Unternehmen mit langfristigen und strategischen Interessen in Indien.
Vorteile:
- Volle Kontrolle über den Aufbau des Teams und die Unternehmenskultur.
- Möglichkeit, maßgeschneiderte Strukturen und Prozesse zu implementieren.
- Potenzial, langfristig sehr kosteneffizient zu arbeiten und die eigene Marke vor Ort zu etablieren.
Nachteile:
- Hoher Zeit- und Kapitalaufwand, um eine eigene Entity zu etablieren und produktiv zu machen.
- Erfordert Fachwissen über lokale Vorschriften und Geschäftsabläufe.
- Das Recruiting in Eigenregie ist komplexer und zeitintensiver, bis es zur produktiven Arbeit kommt
Ab einer Teamgröße von ca. 50 Mitarbeitern kann sich dieses Modell lohnen, da die Kostenvorteile die Anfangsinvestitionen übersteigen.
4. Akquisition eines bestehenden Teams oder Unternehmens
Ein schnellerer Ansatz ist die Übernahme eines bereits bestehenden Teams oder einer Firma in Indien, die Erfahrung in der relevanten Technologie und Branche besitzt. Dieser Schritt ist für Unternehmen sinnvoll, die sofort auf erfahrene Entwickler zugreifen und von etablierten Strukturen profitieren möchten.
Vorteile:
- Sofortiger Zugriff auf erfahrene Mitarbeiter mit relevanter Expertise.
- Die Einarbeitungszeit ist kürzer, da die Teams bereits eingespielt sind.
- Erhöhte Chancen, bestehende Kundenbeziehungen und Marktwissen zu übernehmen.
Nachteile:
- Höhere initiale Investitionen notwendig, die je nach Teamgröße und Expertise variieren können.
- Potenzielle Integrationsprobleme in die Unternehmensstruktur.
- Risiko, dass die bestehende Kultur des Teams nicht zur Unternehmenskultur passt.
Ein realistisches Investment für ein erfahrenes Team in Indien kann schon ab 500.000 Euro möglich sein, je nach Teamgröße und Fachkompetenz. Die Integration sollte zudem intensiv vorbereitet werden, um das neue Team möglichst schnell und produktiv in die Unternehmensstruktur einzugliedern.
Fazit Softwareentwicklung Outsourcing nach Indien
Egal, welches Modell man wählt – Outsourcing nach Indien ist immer ein strategisches Projekt, das von der Geschäftsführung voll unterstützt werden muss. In jeder Organisation gibt es Widerstand und Vorbehalte, insbesondere, wenn es um die Verlagerung Entwicklungsaufgaben nach Indien geht. Der Aufbau einer erfolgreichen Outsourcing-Strategie erfordert ein gezieltes Changemanagement, um das Team und die gesamte Organisation mitzunehmen. Aus meiner eigenen Erfahrung als Projektleiter für ein Outsourcingprojekt nach Indien von 2014 bis 2016 weiß ich, dass die Unterstützung der gesamten Organisation essentiell ist. Scheitert das Projektmanagement oder das interne Alignment, kann selbst das bestgeplante Vorhaben ins Straucheln geraten – unabhängig davon, wie gut die äußeren Rahmenbedingungen auch sind.