One-Night-Stands, Arranged vs. Love Marriage: Kooperationen mit Indien
- 28. Januar 2025
- Veröffentlicht durch: Wolfgang Bergthaler
- Kategorien: Allgemeines, Interkulturelles, Unternehmensberatung
Kommentar: Wie lebendige und nachhaltige Geschäftsbeziehung gelingen können.
Die Zusammenarbeit mit indischen Dienstleistern und Unternehmen ist für viele österreichische und deutsche Unternehmer eine Herausforderung. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass viele Kooperationen, die ich gesehen habe, eher einer einer „arrangierten Ehe“ gleichen, denn einer „Liebesheirat“, was nicht bedeutet, dass diese nicht funktionieren können.
Der Schlüssel zu einer belastbaren und erfolgreichen Partnerschaft ist meiner Meinung nur dann möglich, wenn man völlig anders an das Thema herangeht als es (interkulturelle) Berater in der Regel empfehlen.
Der klassische, „normale“ Ansatz: Scheitern vorprogrammiert
Viele Ratgeber betonen, wie wichtig klare Spezifikationen und detaillierte schriftliche Verträge im Indiengeschäft sind. Schnittstellen sollen stets klar definiert, Bedingungen und etwaige Sanktionen im Voraus festgelegt werden. Es wird geraten, hart zu verhandeln und gleichzeitig sensible Themen zu vermeiden, um ja keinen Gesichtsverlust beim indischen Partner zu riskieren. Direktes Feedback soll vermieden werden, da indische Partner angeblich nicht damit umgehen könnten. Das Resultat ist oft eine Beziehung, die von Misstrauen und einer Frontenbildung geprägt ist: auf der einen Seite der europäische Käufer, auf der anderen Seite der indische Lieferant, vergleichbar mit einer „arrangierten Ehe“ mit starren Rollen und viel Projektionen auf die jeweils andere Seite. Was in patriarchalen Gesellschaften vielleicht noch immer funktioniert, scheitert allerdings im Indiengeschäft allerdings an der Praxis. Denn sowohl die indische, als auch die europäische Seite haben das Selbstverständnis die dominante Rolle in der Beziehung einnehmen zu wollen. Daher entsteht daraus in der Regel keine dynamische Liebesbeziehung mehr.
Ja, schriftliche Verträge sind für Indien wichtig – sie sollten aber auch (Spiel)Raum für Agilität lassen und vor allem gemeinsame, unverhandelbare Werte und Regeln festschreiben, die für beide Seite gelten.
In den letzten Wochen und Monaten habe ich in meinem Umfeld gesehen, dass der „klassische Ansatz“, besonders bei der Entwicklung neuartigen Angebote, fast zwangsläufig zum Scheitern führt. Warum? Weil sie den dynamischen, kontextgetriebenen und beziehungsorientierten Charakter der indischen Geschäftskultur völlig verkennen und die Bedürfnisse der indischen Seite komplett ignorieren. Gerade in dynamischen Branchen, wo viel Unsicherheit herrscht, können diese starren Beziehungen schlechter auf neue Entwicklungen reagieren.
Der indische Ansatz: Flexibilität als Stärke
Indien ist ein Markt, der von enormer Dynamik geprägt ist. Dies spiegelt sich auch in der Art wider, wie sich Organisationen verhalten. Prozesse sind oft agil und Vereinbarungen nie 100% in Stein gemeißelt. Entscheidungen werden stark von Beziehungen und dem aktuellen Kontext beeinflusst. Das ist für uns Europäer normalerweise nicht akzeptierbar.
Ein Beispiel: Um Projekte und Partner zu gewinnen, kalkuliert man in Indien extrem knapp und ist dann oft nicht in der Lage, seine Versprechen zu halten. Dadurch geraten die „Inder“ unter Druck, die finanziellen Lücken anderweitig zu schließen – ein Teufelskreis beginnt, der oft in Intransparenz mündet – was für jede Beziehung Gift ist. Die Qualität sinkt, es wird getrickst oder die Wahrheit wird nach allen Regeln der indischen Kunst gedehnt.
Co-Kreation statt Konfrontation
Um das zu vermeiden, ist es essenziell, von Anfang an klar und transparent zu kommunizieren, was ich als europäischer Partner benötige, und gleichzeitig ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse des indischen Partners zu entwickeln. Der Fokus sollte auch darauf liegen, den indischen Partner aktiv zu unterstützen: Wie kann ich ihm helfen, seine Ziele zu erreichen, seine Prozesse und Strukturen zu optimieren und seine Markenwahrnehmung zu stärken? Nur so kann eine nachhaltige und erfolgreiche Zusammenarbeit entstehen.
Der Schlüssel zu nachhaltigen Geschäftsbeziehungen liegt also in der Co-Kreation. Statt nur um Konditionen zu feilschen, sollte man die Bereitschaft zeigen, eine gemeinsame Vision und ein gemeinsames Businessmodell zu entwickeln. Setzen Sie auf beziehungsorientiertes Handeln, das auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt basiert.
Von der Arranged Marriage zur Love Marriage
Eine stabile Geschäftsbeziehung (mit Indien) sollte meiner Meinung nach eine „Liebesheirat“ und keine „arrange marriage“ sein. Sie erfordert:
- Klarheit und Ehrlichkeit (auch bei Konflikten)
- Respekt und Wertschätzung
- Eine Beziehung auf Augenhöhe
- Die Bereitschaft, auch mal die Schwächen des anderen zu akzeptieren und zu kompensieren.
- Wenn mal notwendig, die Fähigkeit, Grenzen zu setzen und auch einmal Nein zu sagen.
Allerdings ist das kein Aufruf zu Naivität. Ganz im Gegenteil! Denn in der, teilweise brutalen, indischen Business-Welt gibt es nicht viele Unternehmer:innen, mit denen sie so eine „Liebesbeziehung“ eingehen können. Daher ist es umso wichtiger, im Vorfeld zu prüfen, ob die Werte und Einstellungen übereinstimmen und ob der Partner ernsthaft an einer langfristigen Zusammenarbeit interessiert, und dazu fähig ist. Ein indischer Unternehmer, welcher rein transaktionsorientiert denkt (wie in Indien leider oft üblich) und nur auf den kurzfristigen Gewinn – quasi “One-Night-Stand” (gegen den natürlich auch nichts einzuwenden ist) – aus ist, disqualifiziert sich aber als potentieller geschäftlicher langfristiger Ehe-Partner.
Durch mein tiefes Verständnis der indischen Kultur und lokalen Gegebenheiten werde ich in Indien als Verhandlungspartner von beiden Seiten ernstgenommen. Ich werde als jemand gesehen, der sowohl die europäische als auch die indische Perspektive versteht – und quasi auf beiden Seiten des Verhandlungstisches sitze. Dadurch kann ich Brücken bauen und manchmal auch Liebesbeziehungen vermitteln. ❤️
Photo: Yogita, CC BY 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by/3.0, via Wikimedia Commons